Design & Praxis, Bildbearbeitung
09.05.2019
Das Figur-Grund-Gesetz
Gestaltung ist eine Geschmacksfrage, meinen viele Beobachter. Das eigene subjektive Empfinden in Ehren – doch Geschmack kennt auch objektive Beurteilungskriterien, die in vielen Gestaltungsgesetzen dokumentiert sind.
Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich im Gestaltungsprozess auf der Empfänger- oder auf der Absenderseite stehe. Als Empfänger kann ich ungestraft so empfinden, wie ich will; keiner wird wegen seines Geschmacks abgestraft. So kann ich Olivenglace köstlich finden, 25 Grad warmen Rotwein oder Andy Warhol mögen. Der Konsum von etwas, das mit Sinnlichkeit zu tun hat, ist eine höchst persönliche Sache. Und das ist auch gut so.
Ganz anders sieht es aus, wenn man etwas produziert, das möglichst viele Geschmäcker treffen soll: bei Konsumgütern aller Art. Wir dürfen auch visuelle Dinge wie Fotos, Grafikdesign oder Typografie dazuzählen. Wer also kommerziell gestaltet, ist nicht primär seinem eigenen Geschmacksempfinden verpflichtet, sondern will einer definierten Zielgruppe gerecht werden. Ein Künstler mag sich nur um seinen Ausdruck, um seinen Stil kümmern. Im Auftragsgeschäft sind es oft die Auftraggeber, die mit der Gestaltung eine verkaufsfördernde Wirkung erzielen wollen. Da sind enge Regeln des Corporate Image oft vordergründig. Wer weiss, welche Designs gerade in welchem Umfeld angesagt sind, welches die Sehensweisen von Konsumenten sind, wer auf welche Art schaut, erkennt und liest, der sollte diese Erkenntnisse einsetzen und nicht einfach nach seinen persönlichen Vorlieben agieren.
Gerade im Plakatdesign treten gravierende Mängel zutage. Weisse Schriften auf hellblauem Grund, viel zu klein und völlig unleserlich, überfordern jeden Automobilisten. Plakate, die in zwei Sekunden komplexe Bildgeschichten erzählen wollen, zeugen von Dilettantismus erster Güte. Ein Plakat funktioniert wie eine Ohrfeige, sie muss sofort kleben. Kein Mensch lässt sich auf einen Boxkampf über neun Runden ein – jede Textfülle ist herausgeworfenes Geld. Wenn ein Plakat nicht wie eine Ohrfeige sitzt, funktioniert es nicht. Man kann es auch positiv sehen: Solche Arbeiten sind immerhin finanzielle Zuwendungen für die Werbe- und Druckbranche. Die Auftraggeber dürfen dann allerdings nicht reklamieren, dass Werbung nichts nützt. So nicht.
Elementar wichtig für Auftraggeber und Gestalter sind die Gestaltungsgesetze. Ihnen kann niemand entrinnen. Die Art und Weise, wie wir sehen, ist empirisch dokumentiert und auch mit der eigenen Seherfahrung nachzuvollziehen. Es gilt also die Wirkungsweise von visuellen Elementen und nicht, ob einem etwas gefällt oder nicht. Wir gestalten wirkungsorientiert – nicht für uns selbst, sondern für unsere vermeintliche Zielgruppe. In dieser Denkweise bewegen sich Designerinnen von Babysachen in Rosa und Hellblau. Schwarz, Braun, Violett oder Grau liesse sich kaum verkaufen.
Im Schulbetrieb sind die Gestaltungsgesetze in der Formenlehre und Farbenlehre verankert. Nach diesen Gesetzen können wir herleiten, dass es so etwas wie ein objektives Empfinden gibt. Alle Menschen «sehen» mit den gleichen Organen, mit dem Auge-Hirn-System und dem Gleichgewichtssinn in den Ohren. Wir wissen in allen Lagen, wo oben und unten ist, was dunkel und hell bedeutet oder was eine warme Farbe ist. Wir wissen automatisch, was nah oder fern ist, deutlich oder schemenhaft, gross oder klein. Selbst Babys erkennen automatisch die Eltern, sie können durch ein Lächeln reflexartig Freude ausdrücken. Es gibt eine ganze Reihe von wichtigen Gesetzmässigkeiten, und wer sie leichtfertig missachtet, wird nicht erfolgreich sein.
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Quelle / Autor: Ralf Turtschi
Thema: Design & Praxis
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