Design & Praxis, Bildbearbeitung
17.07.2019
Die Simulation der dritten Dimension
Wer online oder auch per Papier publiziert, findet seine Worte, Bilder oder Grafiken auf einer flachen Ebene. Trotzdem sehen wir alles dreidimensional.
Obwohl es der Volksmund behauptet, können wir eines nicht: schwarzweiss sehen. Wenigstens tagsüber nicht. Ebenso wenig sind wir in der Lage, mit beiden Augen zweidimensional zu sehen, das funktioniert physiologisch nicht und von der Wahrnehmung her schon gar nicht. Sogar mit einem Auge können wir dreidimensional sehen, sonst könnten wir uns schlicht nicht zurechtfinden, da eine Unterscheidung von vorn und hinten nicht mehr möglich wäre. Ist es aber.
Die sinnliche Welt ist nun einmal in drei Dimensionen angelegt, die Erdanziehung sagt unserem Körpergefühl, was oben und unten ist, links und rechts sind sozial erlernte Richtungen. Im Zentrum des Gesichtsfeldes können wir etwa ein Grad scharf sehen, natürlich abhängig von körperlichen Faktoren. Dies entspricht etwa einem Unterscheidungsvermögen von drei Zentimentern bei einem Abstand von hundert Metern. Schon bei einem Sehwinkel von zwei Grad liegt der Schärfeverlust bei der Hälfte, rings herum verschwimmt das Bild in der Unschärfe. Am Rand hört das Gesichtsfeld langsam auf, da zu sein. Da wird es ja nicht einfach schwarz.
Für das Sehen sind die Rezeptoren, die Sinneszellen auf der Netzhaut, verantwortlich, die das Licht in elektrische Signale umwandeln und diese an die Hirnregionen zur Wahrnehmung und Deutung weiterleiten. Wir besitzen ungefähr 125 Millionen Stäbchen, Sinneszellen, die wie schmale Stäbchen aussehen. Mit diesen sehr lichtempfindlichen Dingern können wir bei wenig Licht oder sogar nachts sehen, allerdings nur hell–dunkel. Etwa zwanzig Mal weniger, nämlich sechs Millionen Zäpfchen sorgen für das Farbsehen. Es scheint so, dass das Hirn die Figuren und Objekte als Kontur oder Schattenbild wahrnimmt und dieses hernach ausmalt. Figuren werden deshalb immer vor Farben gesehen. Ein Beispiel zum Verständnis. Was ist hier zu sehen?
Niemand wird antworten: Rot. Alle werden sagen: ein Herz.
Wir können die physikalischen Gegebenheiten nicht ändern, wir sehen so, wie es uns «programmiert» ist. Allerdings lassen wir uns leicht täuschen. Optische Täuschungen sind immer wieder ganz faszinierend anzuschauen. So sehr wir uns bemühen, «richtig» zu sehen, es gelingt uns nicht. Die vordere Figur deckt die hintere Figur teilweise ab. So entsteht die Tiefe. Das Sehen von Abbildungen ist eine Vortäuschung der dritten Dimension. Obwohl wir genau wissen, dass ein Foto zweidimensional flach ist, können wir nicht anders, als den Inhalt dreidimensional zu interpretieren. Wie kommt das?
In unserem Gehirn sitzt eine grosse Vergleichszentrale, wo die eintreffenden Sehreize sortiert und eingelagert werden. Und zwar endlos, sobald wir die Augen geöffnet haben. Darüber hinaus ist das Hirn auch in der Lage, selbstständig Bilder zu erzeugen, etwa wenn wir träumen oder uns einfach etwas vorstellen. Dieser Endlosfilm wird im Kopf bewertet und zwar nach bestimmten Kriterien wie: betrifft mich, betrifft mich nicht, ist für mich gut oder nicht gut, gefällt mir, gefällt mir nicht und so weiter. Prähistorisch war wohl die Einschätzung «Bedroht mich das Gesehene?» lebenswichtig. Eine Bedrohungslage löste den Fluchtreflex aus. Natürlich urteilen wir heute etwas differenzierter, dennoch steht das eigene Wohlbefinden noch immer im Mittelpunkt, wenns um das Speichern geht.
Die im Hirn abgelegten Bilder sind an andere Sinnesreize geknüpft, so zum Beispiel an Gerüche oder an Lärm. Wenn nun ähnliche Sehreize ins Hirn gelangen, werden sie abgeglichen. Auf diese Weise können wir Personen problemlos erkennen, selbstwenn sie als Karikaturen wiedergegeben werden. Oder wir können Emojis einer Gefühlslage zuordnen.
Dreidimensionales Sehen ist für uns das Natürlichste der Welt, niemand braucht es uns beizubringen. Erst die heutigen Möglichkeiten bringen es mit sich, dass die Wirklichkeit nicht immer gleich aussieht wie die Abbildung der Szene. Fotos und Filme können fast beliebig verfremdet werden, sodass die Authentizität der Bilder längst in Frage gestellt ist – wie übrigens beim Text auch.
Fotos bearbeiten gehört zum normalen digitalen Workflow. Von einer perspektivischen Korrektur über Flecken entfernen, Graufilter einsetzen bis hin zu Bildcollagen, Steigerung des Farbumfanges oder des Kontrastes gibts jede Menge Eingriffe, welche nicht mit einer Fälschung gleichgesetzt werden können. Der Fälschung muss eine Täuschungsabsicht zugrunde liegen.
Auch unbearbeitete Bilder können je nach Bildausschnitt eine ganz andere Aussage entfalten!
Dreidimensionales Sehen
Das räumliche Sehen basiert auch auf anderen Gesetzmässigkeiten wie dem Figur-Grund-Gesetz. Wenn eine Figur einen Grund abdeckt, steht die Figur automatisch im Vordergrund. Bei Landschaftsbildern ist die untere Zone fast immer auch nah, vorn. Der Horizont hinten liegt folgedessen immer am oberen Rand. Solche Muster erkennt das Gehirn auf jeder Landschaftsaufnahme, weil dies dem natürlichen Sehen entspricht.
Ein Wort noch zur Schärfe. Fotografische Schärfentiefe ist ein Gestaltungsmittel, um Figuren scharf herauszuarbeiten. Vor allem in der Makrofotografie ist die Schärfe auf wenige Millimeter beschränkt, sie kann dabei hinter oder vor dem Objekt liegen. Dass wir auf einem Foto Schärfe und Unschärfe gleich scharf fokussieren können, ist ein Unding wider die Natur. Die Randzone im Gesichtsfeld unterscheidet sich stark von fotografischer Schärfentiefe.
Ein wichtiger Faktor für die Wahrnehmung von Dreidimensionalität ist die Koexistenz von Licht und Schatten. Objekte haben immer einen Schatten, machmal sieht man ihn deutlicher, manchmal weniger. Dabei sind immer mehrere Lichtarten im Spiel: Sonnenlicht mit Reflexionen oder Kunstlicht. Es kommt auf die Lichtquellen, den Hintergrund oder die Distanzen an. Licht und Schatten modulieren Gesichter und Körper und helfen so, täuschend echt aufs Gehirn zu wirken.
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Thema: Design & Praxis
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